WIE ES KAM, DASS DER DONNER GEFANGEN WURDE Chiisakobe no Sugaru war Leibwächter und vertrautester Gefolgsmann des Kaisers YCiryaku, der im Palast von Asakura zu Hatsuse das Land unter dem Himmel dreiundzwanzig Jahre lang regierte. Als der Kaiser, während er im Palast zu Ibare verweilte, mit der Kaiserin in der Großen Ruhmeshalle zu schlafen und sich mit ihr ehelich zu vereinigen geruhte, kam Sugaru nichtsahnend herein. Der Kaiser schämte sich und hielt inne. In diesem Augenblick ertönte am Himmel der Donner. Da rief der Kaiser den Sugaru zu sich und sprach: »Kannst du den tönenden Donner ergebenst einladen?« Der erwiderte und sprach: »Ich kann ihn ergebenst einladen.« Der Kaiser sprach: »Dann lade ihn ergebenst ein.« Sugaru gehorchte dem Befehl und verließ den Palast. Er bedeckte seine Stirn mit dem Purpurband und ergriff einen Speer mit rotem Wimpel. Er bestieg sein Pferd, galoppierte die Straße vor dem Yamada-Berg bei Abe und den Weg vor dem Toyora-Tem-pcl entlang und erreichte die Wegkreuzung von Morokoshi bei Karu. Mit lauter Stimme brachte er seine Einladung vor und sprach: »Den am Himmel tönenden Donnergott läßt der Kaiser ergebenst zu sich rufen!« Dann wendete er sein Pferd und rief im vollen Lauf: »Seid Ihr auch der Donnergott, wie könntet Ihr der Einladung des Kaisers nicht Folge leisten?« Während er im vollen Lauf davoneilte, fuhr zwischen dem Toyora-Tempel und dem Hügel von Ihi der tönende Donner herab und verweilte. Sugaru sah ihn, rief sofort Beamte der Götterbehörde herbei, ließ den Donnergott in eine Sänfte setzen und vor den Großpalast bringen. Dem Kaiser meldete er: »Ich habe mir erlaubt, den Donnergott einzuladen.« In diesem Augenblick strahlte der Donner Glanz aus und es blitzte leuchtend auf. Der Kaiser erschrak bei diesem Anblick und opferte Hanffäden und Papierstreifen in Fülle, auf daß der Donner zurückkehre an den Ort seiner Herabkunft. Und so heißt dieser Ort heute Donnerhügel. Danach aber starb Sugaru. Der Kaiser befahl, ihn sieben Tage und sieben Nächte aufzubahren und seine Treue und Wahrhaftigkeit zu preisen. Am selben Orte, da der Donner niedergefahren war, errichtete man den Grabhügel für ihn. Für alle Zeiten ward eine Inschriftensäule errichtet, auf der stand: »Grab des Sugaru, der den Donner fing«. Besagter Donner aber zürnte und grollte und fuhr tönend nieder, hüpfte und stampfte auf der Inschriftensäule herum, bis er sich in einem Spalt jener Säule einklemmte und gefangen war. Dem Kaiser kam dies zu Ohren und er ließ den Donner frei, und er starb nicht. Der Donner, seiner Sinne nicht mehr mächtig, blieb sieben Tage und sieben Nächte da. Ein vom Kaiser entsandter Bote errichtete eine Inschriftensäule, auf der stand: »Grab des Sugaru, der im Leben wie im Tode den Donner fing«. Daher kommt es, daß in der Zeit der früheren Hauptstadt der Name »Donnerhügel« aufkam. Zitat aus Naumann, Nelly; Die Zauberschale: Erzählungen vom Leben japanischer Damen, Mönche, Herren u. Knechte; München 1973 (Hanser), 1990 (dtv); ISBN 3423112964